Archiv für den Monat: Oktober 2020

Der Tod/Ton macht die Musik – Wie hospizlich-palliative Begleitung klingt

Der Hospiz-Förderverein „LebensWert“ hatte Gespräche mit professionellen Partnern angekündigt. Sie kamen alle aus der aktiven Arbeit der vorhandenen hospizlichen und palliativen Versorgung in der Region. Es wurde ein äußerst berührender Abend!

Das lag besonders daran, dass die „Akkorde“ von Hinterbliebenen gesetzt wurden, die ihre ganz eigenen zu Herzen gehenden Geschichten vom Verlust eines Familienangehörigen erzählten und besonders auf die persönliche Erfahrung bei der Unterstützung durch die vorhandenen Dienste eingingen.

Dr. Thomas Sitte, Vorsitzender der von ihm gegründeten Deutschen PalliativStiftung, führte als Moderator und quasi „Dirigent“ dieses außergewöhnlichen Orchesters einfühlsam durch den Abend.

Er bedankte sich bei den Angehörigen für ihr Vertrauen und ihren Mut, sich der Zuhörerschaft zu stellen. „Die Schilderungen sind harter Tobak und überzeugen doch sehr durch die Authentizität der Erzählungen“, so eine der Zuhörerinnen.

Das Duo Zweiklang überbrückte so manch emotionalen Moment mit ihren eigenen und wunderbar vorgetragenen Liedern und schuf damit gefühlvolle Zwischenakkorde, die so mancher zum Durchatmen brauchte.

Michael Brand, Vorsitzender des Hospiz-Fördervereins und seine Stellvertreterin Silvia Hillenbrand erläuterten das Ziel dieser Veranstaltung. Man wolle das große Netzwerk der hospizlichen und palliativen Betreuung vorstellen. Damit kann den Betroffenen und ihren Angehörigen geholfen werden, um eine entlastende, würdevolle und einfühlsame Begleitung von Schwerstkranken und Sterbenden zu ermöglichen. Dies diene der Information und Aufklärung, deren Zielsetzung der Hospiz-Förderverein habe.

Nach dem Motto: „Wir lassen die Menschen nicht alleine“ berichteten Wilfried Wanjek vom Ambulanten Hospizdienst der Malteser, Dr. Peter Fehrenbach von der medizinischen Versorgung durch das PalliativNetz Osthessen, Dr. Sebastian Schiel von der Palliativstation im Klinikum Fulda und Dagmar Pfeffermann vom stationären Hospiz St. Elisabeth in Fulda.

Die Geschichten der Hinterbliebenen und deren oft sehr intimen Erlebnisse waren sehr individuell, und doch waren sie im Ergebnis vergleichbar. Alle stellten die Hilfen, die sie erfahren hatten, dankbar in den Fokus.

Hilfen, die bei einem Betroffenen, der seinen Tod selbst bestimmen wollte, dazu führte, dass er in der Palliativstation den Suizidgedanken nicht weiter verfolgte, weil der durch eine selbst zu bestimmende Schmerzfreiheit „noch mal leben konnte, vor seinem natürlichen Tod“.

Aus dem ambulanten Hospizdienst, wo ehrenamtlichen Sterbebegleiter in die Haushalte gehen, wurde dargelegt, welches Vertrauen den Hospizlern entgegen gebracht werde und wie gut ihr „DA SEIN“ den Betroffenen tut.

In einem weiteren Fall wurde die Arbeit der Palliativärzte und -schwestern gelobt, die den Angehörigen die medizinische Sicherheit, aber auch das seelische Verständnis entgegen gebracht hatten. Und so konnte konkret der Wunsch eines Vaters, zu Hause zu steben, erfüllt werden, den er seiner Familie vorgetragen hatte: „Wenn ihr mich liebt, dann begleitet ihr mich.“

Von guten Erfahrungen im stationären Hospiz wurde von Angehörigen berichtet, die große Angst und ein schlechtes Gewissen vor ihrer Entscheidung hatten, den Ehemann und Vater ins Hospiz zu bringen. „Aber als wir das Hospiz als WG für Menschen erlebten, die Hilfe brauchen und die wir nicht geben konnten, wussten wir: Das ist es!“ Der Vater erlebte ein Umfeld, wie es besser nicht hätte sein können, „er konnte im Hospiz nach seinen Bedürfnissen leben und er konnte er sein.“ Die Tochter sprach von einer Zeit mit ihrem Vater im Hospiz, die sie bis zum heutigen Tag geprägt habe.

In den ergänzenden Fragen vom Moderator Dr. Sitte gab es von den professionellen Helfern jeweils einen Kernsatz:

Dr. Schiel: „Die Palliativstation im Klinikum ist eigentlich eine Krankenhausstation, aber eigentlich auch nicht, eher mehr“.

W. Wanjek: „Die Rolle der Pflegekräfte ist gravierend, aber die Rolle der Ehrenamtlichen ist ebenso wichtig, denn sie bringen Zeit und Alltag mit.“

Dr. Fehrenbach: „Bei aller Professionalität von uns allen, spielt Empathie und spielen Emotionen eine große Rolle.“

D. Pfeffermann: „Hospize sind gute Orte zum Leben und zum Sterben“.

Abschließend konnte festgestellt werden, dass die geleistete hospizliche und palliative Beegleitung wohl klingt, weil durch eine entsprechende Sterbekultur der Tod und das Sterben aus der Tabuzone geholt wird und deutlich wird, dass diese Sterbekultur durch eine große Verantwortungskultur für Sterbende geprägt ist.

Vortrag mit Frank Kittelberger

Wohin geht die Hospizarbeit? –  Zwischen Professionalisierung und Ehrenamt.

Nachdem Michael Brand, der Vorsitzende des Hospiz-Förderverein „LebensWert“ , die Zuhörer begrüßt und auf das besondere Thema vorbereitet hatte, referierte der Pastoralpsychologe Frank Kittelberger im Vonderau Museum zu einem spannenden Thema, zu dem viele im Hospizdienst arbeitenden Zuhörer im Rahmen der Ausstellung „Noch mal leben“ gekommen waren.

Als Mitglied im Deutschen sowie im Bayerischen Hospiz- und PalliativVerband und ehemaliger Studienleiter für Ethik in Medizin und Gesundheitswesen an der Evangelischen Akademie in Tutzingen war er ganz sicher der geeignete Vertreter von Prof. Dr. Gronemeyer, der kurzfristig aus schwerwiegenden persönlichen Gründen den Vortrag absagen musste. Kittelberger und Gronemeyer hatten sich beide mit dem gestellten Thema intensiv auseinander gesetzt.

Das vorweg genommene Fazit des Referenten: „Die Hospizidee und die allgemeine Palliativversorgung sind jetzt in der zweiten Generation angekommen und nach einem Lernprozess auf einem guten Weg. Sie werden aus ihren Fehlentwicklungen gelernt haben und manches korrigieren.“ Denn: „Ohne Ehrenamt kann man nicht von Hospiz sprechen!“

In seinem Exkurs in die Entstehungsgeschichte der Hospizarbeit belegt Kittelberger, dass die ehemalige Einheit von Palliativ Versorgung und Hospizarbeit aufgebrochen wurde und sich quasi zwei eigenständige Disziplinen entwickelten. Dabei war der Plan der Pionierin Cicely Saunders, dass den einbezogenen Ehrenamtlichen eine eigene Profession zugestanden werden sollte. Niemals sollten sie nur „Lückenfüller“ sein.

Heute ist die Frage berechtigt, ob die Normen, die im Gesetz zur Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung aus dem Jahr 2016 festgelegt wurden, noch mit den Grundsätzen der ehemaligen großen  Hospizbewegung übereinstimmen.

Schließlich war die Grundidee von Hospiz Care ein Zusammenspiel eines ganzen Netzwerkes von Helfenden, die im „Orchester des Lebensende“ Sterbebeistand leisten, und das Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamt war die Voraussetzung dafür.

Und so müssen im Zuge der Weiterentwicklung der Hospizarbeit immer wieder Spannungsfelder austariert werden, wie z.B. ob im Versorgungsmarkt ambulant vor stationär gelten soll? Oder ob die  Hospizarbeit zertifiziert werden kann? Noch wichtiger: gelingt wahre Interdisdziplinarität, also ein echtes Miteinander unter Anerkennung der unterschiedlichen Professionen? Kittelberger betont, wenn jeder die Rolle des anderen versteht, wenn Ehrenamtliche die gleichwertige Wahrnehmung wie die Hauptamtlichen erfahren, dann entsteht die eigentliche Hospizbewegung als Transdisziplinarität, also eine integrationsorientierte Hospizarbeit zwischen dem wissenschaftlichen und dem gesellschaftlichen Anteil der Bewegung.

Er stellt fest, dass sich die Hospizbewegung heute zu einer lebendigen, hoch professionellen Organisation entwickelt hat und trotz Spaltung in Hospizarbeit und die Palliativmedizin ihren Grundgedanken erhalten hat.

Dazu beigetragen haben die Ehrenamtlichen, als Bestandteil des Palliative Care Teams, um die Professionellen im Gesundheitswesen zu unterstützen und den Patienten und ihren Angehörigen eine wichtige Stütze zu sein. Sie lenken den Blick auf das normale Leben in einer Situation, wo alle anderen sich auf eine medizinische Problematik zu konzentrieren scheinen.

Die potentielle Vielfalt der Ehrenamtlichen, ihre Lebenserfahrung, ihre Zeit und Freiwilligkeit, ihr ausgeprägtes Interesse, das alles muss als weiter Raum im palliativen Team verstanden und geschätzt werden.  Das Ehrenamt muss also nicht deshalb geschützt werden, weil es praktisch, billig und rührend ist, sondern weil es Bestandteil der „Grundidee Hospiz“ ist und diese Idee in die Gesellschaft integriert.

Kittelberger stellt die zukünftigen Fragen:

Da ist die Frage nach der Entlohnung von Ehrenamtlichen, welche in manchen Bundesländern schon praktiziert wird. Der Referent sieht in dieser Monetarisierung des Ehrenamtes eine Zwei-Klassen-Gesellschaft von freiwilligen Hospizbegleitern.

Es wird sich die Machtfrage zwischen hauptamtlichen und ehrenamtlich tätigen Menschen in der Hospizarbeit stellen. Dadurch ist automatisch die Fachkompetenz ungleich verteilt und kann zu Verwerfungen führen.

An einer Professionalisierung kommt auch die ehrenamtliche Hospizarbeit nicht vorbei. Weiterbildung und Schulungen sowie Supervisionen dienen letztendlich den Menschen, die ihnen in der Hospizarbeit anvertraut sind.

Aber, und das ist der positive Ausblick des Referenten, unsere Gesellschaft wird eine sorgende Gesellschaft bleiben, wenn sie das Lebensende mit großem Engagement zur Herzenssache macht.

Kittelberger sieht in der Hospizbewegung immer noch eine Verheißung und sein Appell lautet:

Nicht aufgeben, nicht verzweifeln, nicht nachlassen!

Es schloss sich eine lebendige Diskussion mit den Zuhörern an.

Abschließend überreicht Martin Hoogen, stellvertretender Vorsitzender des Hospiz-Fördervereins, dem Referenten mit einem herzlichen Dank ein Gastgeschenk. Er wies auf die gut angenommene Ausstellung „Noch mal leben“ im Vonderau-Museum hin und machte auf weitere Veranstaltungen im Rahmen des Beiprogramms aufmerksam.

v.l.n.r: Michael Brand, Frank Kittelberger, Silvia Hillenbrand, Wilfried Wanjek, Martin Hoogen